Folder "Sinnvoll tätig sein — Ein Grundeinkommensprojekt in Heidenreichstein"

Warum Grundeinkommen eine notwendige Alternative ist oder:
Die Neue Welt des Arbeitens und ihre Auswirkung auf das gesellschaftliche Zusammeneben

Die Ausgangslage

Unsere Gesellschaft steht vor der Schwelle der Digitalisierung der Arbeits- und damit auch der Lebenswelten der Menschen. Die Veränderungen werden die nächsten Generationen massiv betreffen. Unter dem Begriff 4.0 passiert eine Automatisierungswelle nach der anderen. In der Produktion werden Maschinen und Werkstücke vernetzt und Produktionsabläufe noch unabhängiger von menschlicher Arbeit. Das bedeutet einen massiven Verlust von Arbeitsplätzen. Gemäß der „Oxford-Studie“ (2013) sind in den nächsten 10 bis 20 Jahren in den USA 47% der Arbeitsplätze automatisierbar. Für Europa sind die Zahlen nicht wesentlich anders. Der sogenannte Arbeitsmarkt kann diese Entwicklung nicht mehr auffangen. Das Wirtschaftswachstum schafft schon längst keine zusätzliche Arbeit. Zwar steigt die Zahl der Beschäftigten stetig, zwischen 2010 und 2015 um 14,4%, die Anzahl der Arbeitsstunden im gleichen Zeitraum allerdings nur mehr um 0,6%. In Krisenregionen ist die Abnahme der Gesamtarbeitszeit massiv. Gleichzeitig entstehen neue Branchen und Berufe. Es geht also nicht nur um den Wegfall von Arbeitsplätzen, sondern auch um eine wesentliche Veränderung in der Qualität der Arbeit.

KonsumentInnen werden durch Einbeziehung in Wertschöpfungsprozesse und durch die Ausweitung der digitalen Selbstbedienung verstärkt als kostenlose Arbeitskräfte genutzt, von der Banküberweisung am Automaten bis zur Scannerkassa im personallosen Markt. Arbeit wird auch in die Haushalte verlegt. So werden T-Shirts selbst gestaltet und alle möglichen Geschäfte daheim erledigt.
Die Grenze zwischen bezahlter und unbezahlter Arbeit wird verwischt.

Die neue Generation von Betrieben

Das bedeutet für Betriebe und die dort tätigen Menschen eine unglaublich Entwicklung:

  1. Die Struktur der Betriebe ist immer mehr von komplexen Systemen geprägt. 70% der Betriebe lagern Arbeit aus, es bilden sich Cluster. Grenzen lösen sich auf, Ansiedeln und Absiedeln von Arbeit oder ganzer Betriebe wird noch leichter. Gezielte Rationalisierungsprozesse bewirken stärkere Ortsunabhängikeit von Arbeit und sie nutzen Digitalisierung und elektronische Vernetzung für eine neue geografische Verteilung der Arbeit.

  2. Die Arbeitsverhältnisse werden flexibler, immer mehr Teilzeit- statt Vollzeitarbeitsplätze, aber auch unterschiedliche Arbeitszeiten und Orte (Permajobmodelle). Während die Zahl der Arbeitsplätze steigt, nimmt das Volumen der Arbeitsstunden nicht mehr zu.

  3. Organisationsstrukturen lösen sich auf: Statt einer Hierarchie gibt es Netzwerke und Projektorganisationen. Es entstehen neue Geschäftsmodelle und damit eine Abkehr von der traditionellen Organisation ganzer Branchen. Es bilden sich Internetplattformen, die selbstständige Arbeit ausweiten. Aufgaben werden an eine offene Zahl von InternetnutzerInnen und InteressentInnen ausgeschrieben (Crowdsourcing).

  4. Arbeitsformen werden stets flexibler, das heißt Arbeit entwickelt sich weg vom Ort! Sie kann irgendwo und irgendwann passieren. In vielen Fällen gibt es nicht mehr die Begegnung von Angesicht zu Angesicht, sondern (auch) weltweit vernetzt durch digitale Formen.

  5. So verändern sich Arbeitsstile: in allen Generationen steigt die digitale Kompetenz. Die Qualität der Arbeit hat gegensätzliche Entwicklungstendenzen. Einerseits erhalten qualifizierte Beschäftigte mehr Gestaltungsspielraum und Selbstverantwortung unter gleichzeitiger Steigerung des Verlangens nach dem Erreichen höher gesteckter Ziele. Andererseits kommt es durch die Digitalisierung zu einem „Taylorismus 4.0“. Arbeit wird vereinfacht, abgewertet und stärker fremdgesteuert und überwacht.

  6. Die Anforderungen an Bildung und Flexibilität für die im Arbeitsprozess stehenden steigt enorm.

Die Antwort ist eine politische und keine technische Frage!

Die Auswirkungen sind abhängig von der Entwicklung in Wirtschaft und öffentlichem Sektor: wie wird entgegengesteuert?

  • Das heißt: Wie ist die Verteilung des Reichtums (weltweit)?

  • Wird menschliche Arbeit auch weiterhin besteuert während die Anschaffung von Technologie als Investition abgeschrieben werden kann?

  • Wie entwickelt sich die Kaufkraft jener Menschen, die zu den VerliererInnen des Systems werden? Zum Beispiel MindestsicherungsbezieherInnen – und nicht nur sie - kaufen vermehrt über Internet und nicht mehr lokal.

Das Problem „Daten“

  1. Derzeit verdoppelt sich das weltweit verfügbare Wissen all fünf Jahre, aber nur etwa die Hälfte dessen bleibt länger als eben diese Zeit aktuell. Alle eineinhalb Jahre verdoppelt sich die Rechenleistung von Computern, alle drei Jahre die weltweit gespeicherten Daten. Diese lassen sich rasch und kostengünstig vernetzen. Arbeitsprozesse werden damit zunehmend von Softwareprogrammen erledigt. Hochqualifizierte SachberarbeiterInnen werden überflüssig. Die EU-Kommission prognostiziert, dass in etwa 10 Jahren rund 80% der heute angewandten Technologien ersetzt werden.

  2. • Während Steuern und Abgaben derzeit ausschließlich nationalstaatlich geregelt sind, wird die Wirtschaftsleistung zum überwiegenden Teil international erbracht.
    • Durch die weltweiten Aktivitäten im Anbieten von Arbeitsleistungen werden arbeitsrechtliche Regelungen neuer Art notwendig. Es gibt auf dieser Ebene aber keinen verbindlichen Arbeitnehmerschutz und keine Mindestlöhne.
    • Die Gesellschaft spaltet sich mehr und mehr in Verlierer und Gewinner. Besonders Jugendliche sind betroffen. In den Ländern Südeuropas beträgt die Jugendarbeitslosigkeit um die 50% - trotz massiver Auswanderung.
    • Die Digitalisierung ermöglicht totale Kontrolle. Das beeinflusst unsere Lebensgewohnheiten. Daher braucht es auch hier Schutzbestimmungen.

Der Einfluss auf Gemeinden und Vereine

Die Auswirkungen dieser Entwicklungen auf Kommunen sind nachhaltig negativ: In den Betrieben wird Gemeinschaft nicht mehr gelebt, die Teilnahme am Betriebsgeschehen richtet sich nach der Teamfähigkeit im Sinne der Funktionalität des Geschehens. Betriebe sind ortsungebundener, Menschen siedeln weiter in Richtung Städte und ihre Umgebungen. Dort wohnen die Leute, aber sie nehmen häufig nicht mehr am Leben der Städte und Dörfer teil. Das ist nicht nur eine Sache des Interesses, sondern auch der Möglichkeiten: Arbeitszeiten, Pendelwege, stetige Bereitschaft und so weiter.

Die Anforderung an das Bildungssystem

Es ist eine Tatsache, dass nicht nur ein großer Teil der arbeitswilligen Bevölkerung von dieser Wirtschaft nicht mehr gebraucht wird, sondern dass in der Spezialisierung der Anforderungen viele nicht mitkönnen. Trotzdem wird immer noch an das Bildungssystem die Frage gestellt, was denn die Wirtschaft braucht, welche Fertigkeiten in der Schule vermittelt werden sollen. Und es wird nicht gefragt: Was brauchen die Gemeinden, die Dörfer und Städte, die Verein verschiedenster Art? Sie benötigen Menschen mit ihren Fähigkeiten. Wer aber fragt nach den Fähigkeiten und Begabungen? Von wem, wie und wo werden sie gefördert? Am ehesten noch, wenn es um die Förderung von herausragenden Talenten geht. Dann gibt es „Begabtenförderung“! Und die anderen?

Komplementär zu digitalen Entwicklung unserer Zeit braucht es also Maßnahmen zur Stützung jener kommunalen Gemeinschaften, auf die es ankommt um menschliches Zusammenleben auch gut zu gestalten. Die Zellen einer Gesellschaft sind neben Familien und Hausgemeinschaften in erster Linie gemeinnützige Vereine und (Hilfs-)Organisationen, die das Leben in Dörfern und Städten wesentlich tragen. Sie sind vor allem auf Menschen angewiesen, die bereit sind sich einzubringen. Eine Entwicklung, die in Massenarbeitslosigkeit mündet, fördert die soziale Isolation und Motivationslosigkeit. Gleichzeitig bedeutet es eine ungeheure Verschwendung menschlicher Ressourcen in Form von Fähigkeiten, die nicht mehr zur Verfügung stehen oder sich ins Negative verkehren. Jeder Mensch, egal welchen Alters, Geschlechts, Bildung und sozialer Herkunft hat Begabungen und Fähigkeiten. Sie zu fördern und zu entwickeln ist ebenfalls Bildung. Und das sind die wichtigen und notwendigen Bausteine einer Gesellschaft.

Grundeinkommen — eine Alternative

Zu einer positiven gesellschaftlichen Entwicklung des Digitaliserungsprozesses braucht es den Blick auf die Menschen: Ein Pflegeroboter mag manche lästige oder schwere Arbeit abnehmen, er mag aber nicht die menschliche Zuneigung ersetzen. Der Touchscreen bei McDonald, bei dem die Bestellung betätigt wird, gibt kein Lächeln zurück. Die rechtliche Beratung durch einen spracherkennenden Computer, der alle Gesetze und Urteile gespeichert hat und so in kürzester Zeit die kompetente Auskunft errechnet, vermag keine Anerkennung zu geben. Und die wohlige Nähe eines Freundes, der Halt durch eine Gemeinschaft und der liebende Blick des Nächsten ist unverzichtbar.

Die eigenen Fähigkeiten entwickeln und sie mit anderen teilen: das ist jene Definition von Arbeit, die auch neue Formen von Tätigkeiten ermöglicht. Unsere Begabungen sind das Fundament für eine sinnvolle Betätigung. Eine solche anderen zur Verfügung zu stellen ist das natürliche Bedürfnis eines Menschen. Jeder Verein profitiert davon. Und es ist das soziale Korrektiv innerhalb der Gemeinschaft, dass auch jene Arbeiten gemacht werden, die vielleicht weniger mit Freude verbunden, aber notwendig sind. Ganz im Gegenteil: Von der Nachbarschaftshilfe über Umweltarbeit bis zur Altenpflege würde gerne gesellschaftlich wichtige Arbeit getan. Die Frage, ob davon ein Einkommen erzielt werden kann ist sekundär, denn Arbeit und Einkommen sind nicht notwendig zusammenhängend. Auch heute wird einem Großteil unserer Bevölkerung Einkommen zugestanden ohne dass einer Erwerbsarbeit nachgegangen wird. Vielmehr nährt es die grundsätzliche These, dass eine Tätigkeitsgesellschaft dieser Art durch ein Grundeinkommen ermöglicht und gefördert wird.

Karl A. Immervoll